Ministère des Affaires étrangères (ed.): Documents diplomatiques

Cover
Titel
Documents diplomatiques français. 1946 Tome II (1er juillet 31 décembre)


Herausgeber
Ministère des Affaires étrangères - Commission de publication des Documents diplomatiques français
Reihe
Documents diplomatiques français. 1944-1954
Erschienen
Anzahl Seiten
876 S.
Preis
€ 41,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Wirsching, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Augsburg

Die große, vom Quai d’Orsay besorgte Edition der Akten zur französischen Außenpolitik hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Nachdem frühere Unternehmen ihr Interesse mehr oder minder explizit auf die Vorgeschichte der beiden Weltkriege begrenzt hatten 1, wurde Mitte der 1980er-Jahre ein neuer Anlauf genommen, um eine aktuelle Edition auf den Weg zu bringen. 1987 erschienen die ersten Bände über das Jahr 1954, also dicht an der Sperrfrist von 30 Jahren. Nachdem die damals begonnene Serie inzwischen bis zur Mitte der 1960er-Jahre vorgedrungen ist, wird zugleich zügig daran gearbeitet, die Lücken zwischen 1940 und 1954, aber auch zwischen 1914 und 1932 zu schließen. Gegenwärtig sind daher insgesamt fünf Serien der Documents diplomatiques français parallel in Bearbeitung. Neben der von Maurice Vaïsse geleiteten Serie seit 1954 handelt es sich um die Serien 1914-1919 unter der Verantwortung von Jean-Claude Montant, 1920-1932 unter der Leitung von Jacques Bariéty, 1939-1944 unter Federführung von André Kaspi, schließlich 1944-1954 unter Georges-Henri Soutou. Dieser letzteren Serie entstammt der hier angezeigte Band, der die zweite Hälfte des Jahres 1946 zum Gegenstand hat.

In Gliederung und Anordnung der Dokumente folgt er dem bewährten Prinzip. Die einzelnen Dokumente sind durchnummeriert und strikt chronologisch geordnet. Eine übersichtliche „Table méthodique“ erschließt die Dokumente nach größeren Gegenständen, zumeist aber nach Weltregionen und einzelnen Ländern. Ferner sind hier Datum, Absender, Adressat und Form des Schreibens sowie ein kurzer Hinweis zu seinen Inhalt verzeichnet. Zusammen mit dem Personenindex kann sich also der Benutzer, der sich zum Beispiel für Frankreichs Politik gegenüber einer bestimmten Region interessiert, rasch orientieren.

Die rasche Erscheinungsweise der genannten Serien wird freilich erkauft durch einen extrem sparsamen Apparat, der den Namen Kommentar eigentlich nicht verdient. In aller Regel handelt es sich um bloße Querverweise, Hinweise auf andere, nicht abgedruckte Aktenstücke oder auf handschriftliche Zusätze im Dokument. Über Forschungsliteratur und ihre Ergebnisse wird nicht informiert. Auch das als Einleitung fungierende „Avertissement“ bleibt sehr knapp.

Trotzdem handelt es sich – wie bei den anderen Bänden der genannten Serien auch – um eine sehr gehaltvolle Edition. Sie enthält nicht wenige deklassifizierte Dokumente in der Einstufung „confidentiel“, „très confidentiel“ und „secret“. Und ein signifikanter Teil der Akten stammt aus dem französischen Außenministerium selbst. Es handelt sich also keineswegs nur um eine Edition von Botschafterberichten, sondern der Band erlaubt eine Vielzahl von Einblicken in das „Herz“ des Quai d’Orsay: in sein Generalsekretariat und seine Direktionen.

Solche Einblicke sind für die hier behandelte Phase, als die Viermächteverhandlungen über Deutschland und Europa immer offensichtlicher in die Sackgasse gerieten, besonders instruktiv. Zwar spiegelt der Band die weltweiten Interessen und Engagements Frankreichs wider, insbesondere im Nahen Osten, in Nordafrika und Indochina. Im Zentrum stehen aber nahe liegender weise die Deutschlandpolitik und die mit ihr zusammenhängenden Viermächtebeziehungen. Und in dieser Hinsicht bestätigt die Edition die These von Frankreichs „doppelter Deutschlandpolitik“ in der frühen Nachkriegsphase: Paris suchte seine strukturell und machtpolitisch bedingte Defensive durch die Formulierung von Maximalforderungen zu überwinden beziehungsweise zu kompensieren.2

Entscheidend war in diesem Zusammenhang das französische Streben nach der Ruhrkohle. Eigenen freien Zugang zum damals noch wichtigsten Energieträger zu haben, war für die französische Außenpolitik gleichbedeutend mit Sicherheit vor Deutschland, wirtschaftlichem Wiederaufstieg und dem Anspruch, auch im künftigen Europa eine wichtige Rolle zu spielen. „Notre puissance industrielle dépend avant tout du développement de notre sidérurgie qui, lui-même, est étroitement lié à des fournitures régulières de charbon allemand.“ 3 Der Band dokumentiert sehr anschaulich, wie hieraus und aus der entsprechenden französischen Forderung nach der politischen Abtrennung des Ruhrgebiets von Deutschland bereits 1946 schwere Differenzen zwischen Paris und London erwuchsen. Als kohleexportierendes Land folgte Großbritannien anderen Leitlinien als das kohlearme Frankreich. Dies bedingte unterschiedliche Interessen, diplomatische Spannungen und langfristige Verstimmungen. Erst der Schuman-Plan, den Paris an Großbritannien vorbei lancierte, bedeutete eine konstruktive und dauerhafte Lösung des französischen Problems.

Als Teil der in Arbeit befindlichen Serie ist der hier besprochene Band ein wertvolles Instrument für jeden, der sich für die französische Außenpolitik nach 1944/45 interessiert. Die Forschung und nicht zuletzt auch die einschlägige universitäre Lehre werden von ihm profitieren.

Anmerkungen:
1 Documents diplomatiques français (1871-1914), éd. par le Ministère des Affaires Étrangères, Série 1-3, 41 Bde., Paris 1929-1959; Documents diplomatiques français 1932-1939, Série 1-2, 32 Bde., Paris 1963-1986.
2 Hüser, Dietmar, Frankreichs „doppelte Deutschlandpolitik“. Dynamik aus der Defensive – Planen, Entscheiden, Umsetzen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, innen- und außenpolitischen Krisenzeiten 1944-1950, Berlin 1996.
3 Note du Département (M. Alphand), Problèmes allemands, Paris, 18 juillet 1946, in diesem Band, Dok. 32, S. 87.

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